Gedenken an Dietrich Bonhoeffer

Gedenken an Dietrich Bonhoeffer anlässlich seines 75. Todestags am Gründonnerstag 2020

von Pfr. Peter Scherhans

 

Am Gründonnerstag gedenkt die weltweite Christenheit der letzten Lebensstunden Jesu. Vor Augen steht die innige Gemeinschaft mit seinen Jüngern beim Abendmahl, sein banges Wachen am Ölberg vor der Gefangennahme und sein intensives Gebet um die Bestimmung seines Lebens. 

Dieses Gedenken verbindet sich am Gründonnerstag 2020 mit der Erinnerung an den christlichen Märtyrer Dietrich Bonhoeffer, der vor 75 Jahren, am 9. April 1945, im KZ Flossenbürg/Oberpfalz im Alter von nur 39 Jahren hingerichtet wurde. Sein letztes schriftliches theologisches Lebenszeugnis, ein aus der Haft geschmuggelter Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer, mündet in ein geistliches Gedicht. Dessen abschließende Strophe ist seither zu einem lebensorientierenden Dokument der Zuversicht und des Glaubens für immer mehr Menschen – in ökumenischer und weltweiter Gemeinschaft – geworden:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen / 

erwarten wir getrost , was kommen mag: / 

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen / 

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Diese Worte, enstanden in einer Situation besonderer existentieller Bedrohung, sind von Vielen aufgegriffen worden bei lebensbiografischen Umbrüchen und anderen Erfahrungen, die mit großer Ungewissheit zukünftiger Entwicklungen einhergingen. Zahlreiche Vertonungen dieser Worte hat es in den letzten Jahrzehnten gegeben. Besonders bekannt ist die volkstümliche Melodie geworden, die Siegfried Fietz nach einem ihn sehr bewegenden Besuch des KZ-Gedenkstätte Flossenbürg vor einem halben Jahrhundert komponiert hat. Viele Lied- und Gesangbücher, auch das Gotteslob, haben diese Melodie aufgenommen.

Es wäre ein schönes Zeichen des Gedenkens an Leben und Wirken Dietrich Bonhoeffers, wenn sich in den Abendstunden des Gründonnerstag 2020 an möglichst vielen Orten Menschen diese Trostworte einander zusingen oder sie instrumental in Erinnerung rufen würden – im Vertrauen darauf, dass sich diese Worte auch in den Unsicherheiten und Ängsten, die wir in der Corona-Krise durchleben, als tragfähig erweisen.

Den Worten, die in der Vertonung von Siegfried Fietz den Kehrvers bilden, gehen sechs Strophen voraus, die den persönlichen Charakter von Bonhoeffers Gedicht verdeutlichen, das ursprünglich Teil eines sehr privaten Weihnachtsbriefs zum Jahreswechsel 1944/45 war. Zugleich lassen diese Strophen erahnen, wie sehr sich Bonhoeffer, zu diesem Zeit-punkt im berüchtigten Berliner Keller-Gefängnis der Gestapo inhaftiert, der akuten Todesbedrohung bewusst war, in der er lebte, seit seine Beteiligung am aktiven Widerstand gegen Hitler bekannt wurde. Er redet seine schlimmen Erfahrungen und die Not, die der 2. Weltkrieg mit sich bringt, nicht gut. Die Gedichtstrophen verbergen das erfahrene Leid in der Einsamkeit seiner Einzelzelle nicht, ebenso wenig wie die anteilnehmende Trauer über die vielen Kriegsopfer, die in seinem persönlichen Umfeld zu beklagen sind. Er hat die „aufgeschreckten Seelen“ im Blick und spricht bedrückt von der „schweren Last böser Tage“.  Das Heil, das er von Gott erbittet, ist für ihn nicht deckungsgleich mit dem erhofften glücklichen Ausgang der Geschehnisse. Er schließt die Wendung zum noch Schlimmeren nicht aus. Andererseits ist die Geborgenheit, die er ersehnt, nicht weltflüchtig. So würde der zuversichtliche und glaubensgewisse Gehalt der letzten Strophe von Bonhoeffers Gedicht, der Kehrvers in der Vertonung von S. Fietz, entkernt, würden die vorangegangen 6 Strophen übersprungen. Es macht die Kraft der Berufung auf „die guten Mächte“ aus, dass diese davor bewahren, sich der Sogkraft dämonischer Schicksalsmächte auszuliefern. Dies gibt dem Gedicht Bonhoeffers auch in Zeiten, in denen das Corona-Virus allgegenwärtig das öffentliche Leben zu bestimmen scheint, höchste Aktualität. 

Bonhoeffers Gedicht wurde zusammen mit weiteren Gedichten, seinen Briefen und wegweisenden theologischen Reflexionen aus der Haftzeit posthum durch seinen Freund Eberhard Bethge 1951 unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ veröffentlicht. In diesem Buch, das gewiss zu den bedeutendsten theologischen Werken des 20. Jahrhunderts zählt, ermutigt Bonhoeffer dazu, dass wir uns angesichts „der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten“, die unser Leben bestimmen, „Gott ganz in die Arme (werfen)“. „Dann,“ so fährt Bonhoeffer fort, „nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glauben, das ist metanoia; und so wird man Mensch, ein Christ.“ 

 

Von guten Mächten

Von guten Mächten treu und still umgeben,

behütet und getröstet wunderbar, –

so will ich diese Tage mit euch leben

und mit euch gehen in ein neues Jahr.

 

Noch will das alte unsere Herzen quälen,

noch drückt uns böser Tage schwere Last.

Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen

das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

 

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern

des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,

so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern

aus Deiner guten und geliebten Hand.

 

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken

an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,

dann woll’n wir des Vergangenen gedenken,

und dann gehört Dir unser Leben ganz.

 

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,

die Du in unsre Dunkelheit gebracht,

führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!

Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

 

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,

so lass uns hören jenen vollen Klang

der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,

all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

 

Von guten Mächten wunderbar geborgen

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

In der Vertonung von Siegfried Fietz bildet die 7. Strophe den Kehrvers,

abgedruckt mit Noten u.a. in den Liederbüchern „Mein Liederbuch für heute und morgen“ (Nr. B67) und „Menschenskinderlieder“ (Nr. 35) sowie dem „Gotteslob“ (Nr. 775). Im „Evangelischen Gesangbuch“ (Nr. 65) findet sich die klassische, 1959 entstandene Melodie von Otto Abel zusammen mit einem vierstimmigen Satz.

 

„Einige Glaubenssätze über das Walten Gottes in der Geschichte“ 

von Dietrich Bonhoeffer, entstanden in seiner Haftzeit, veröffentlicht in „Widerstand und Ergebung“:

 

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will,

wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

 

Aus den „Gebeten für Mitgefangene“, festgehalten in „Widerstand und Ergebung“:

 

Gott, zu Dir rufe ich.

Hilf mir beten 

und meine Gedanken sammeln zu Dir;

ich kann es nicht allein.

In mir ist es finster,

aber bei Dir ist das Licht.

Ich bin einsam, aber Du verlässt micht nicht;

ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist die Hilfe; 

ich bin unruhig, aber bei Dir ist der Friede;

in mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist die Geduld;

ich verstehe Deine Wege nicht, aber

Du weißt den Weg für mich.

 

Aus dem verschollen geglaubten, jüngst entdeckten Brief von Dietrich Bonhoeffer an Mahatma Gandhi v. 1934, erstveröffentlicht in Übersetzung in „Zeitzeichen“ (4/2020):

„Es hat keinen Sinn, die Zukunft vorauszusagen, die in Gottes Hand liegt; aber wenn nicht alle Zeichen täuschen, läuft alles auf einen Krieg in naher Zukunft hinaus. … Deshalb brauchen wir in unseren Ländern eine wirklich geistlich geprägte und lebendige christliche Friedensbewegung. Die westliche Christen-heit muss aus der Bergpredigt neu geboren werden. …Wir haben große Theo-logen in Deutschland …, aber keiner zeigt uns den Weg zu einem neuen christ-lichen Leben in kompromissloser Übereinstimmung mit der Bergpredigt. …“